WikiLeaks veröffentlicht peinliche US-Botschaftsberichte – na und?
[Aktuell: „Julian Assange (Wikileaks)„. Neues Speedpainting-Video von mir bei youTube] … WikiLeaks hat 250.000 vertrauliche Berichte von US-Diplomaten veröffentlicht. Im Zusammenspiel mit scheinbar unabhängigen Top-Journalisten wurden diese Dokumente zunächst einige Wochen aufbereitet, bevor sie nun am heutigen Sonntag auszugsweise veröffentlicht wurden. In Deutschland kooperiert WikiLeaks in erster Linie mit dem Spiegel, wo sich die entsprechenden Top-Headline finden. Na und…
Bei Anne Will debattierte ein aufgeregter Hühnerhaufen mit dem Obergockel vorneweg über die Revolution im Internet. Allerdings gab es sehr viele verschiedene Ansichten, was denn jetzt eigentlich die Revolution und was der Skandal daran sei.
Deutsche Politiker sind nicht gerade Aushängeschilder!
Zunächst zu den deutsch-bezogenen „Botschafts-Interna“: Da wird Angela Merkel bescheinigt, dass sie „unkreativ“ sei. Horst Seehofer wird als „unberechenbar“ eingeschätzt. Und Guido Westerwelle als „aufbrausend“ und „anfängerhaft„. – Stimmt alles. Offenbar haben ein paar ambitionierte Botschaftsmitarbeiter ihren Job gemacht, wenn auch erschreckend oberflächlich. Wenn wir in Deutschland solche Nieten wählen, muss man sich über derartige Beurteilungen nicht wundern. Abgesehen davon, dass das täglich in der Zeitung und im Internet zu lesen ist.
Also: der Inhalt der Botschaftsberichte scheint sachlich korrekt zu sein. Es gibt also nichts zu entschuldigen.
Konspirative Geheimtreffen zwischen D und USA
Nächster Punkt: wie kamen die US-Botschaftsangehörigen an ihre Informationen? Wie gesagt: überraschend oder geheim ist das alles nicht. Allerdings sollen diese Beurteilungen nicht nur auf Basis von Schmöckern im deutschen Blätterwald entstanden sein. Nein, zusätzlich soll es „Informanten“ aus den Reihen der Regierung geben. Vor allem ein „aufstrebenden, junger FDP-Politiker“ soll sich angebiedert haben.
Hallo? Wo leben wir denn? Kalter Krieg Paranoia? Ist doch klar, dass es Treffen von Politikern und US-Botschaftern gibt. So wie auch mit französischen, britischen oder russischen und allen anderen Botschaftern. Das sollte doch wohl vollkommen normal sein. Und wenn sich da offenbar irgendein FDP-Schnösel aufgedrängt haben soll, ist das zwar bezeichnend für die „Karriere-Partei“, aber im Grunde absolut harmlos.
Also: dass sich deutsche Politiker mit US-Diplomaten austauschen, ist ja wohl hoffentlich gelebter praktischer Alltag. Da braucht man sich auch nicht für zu entschuldigen.
Intranet mit 250.000 Usern wasserdicht!?
Dann die Sache mit dem „US-Leck“. Wenn man ein globales Intranet aufbaut, zu dem 250.000 Leute Zugriff haben (oder so ähnlich), dann passiert das eben. Egal ob es einer aus dem Kreis der 250.000 war, oder sich irgendjemand an einem der 250.000 Rechner eingehackt hat. Passiert, na und? Kann mir doch keiner erzählen, dass das nicht einkalkuliert war. So blöd kann doch niemand sein. Klar ist es etwas peinlich, wenn unschmeichelhafte persönliche Einschätzungen über sog. Spitzenpolitiker ans Tageslicht kommen. Aber wie oben schon gesagt: eine Überraschung ist es nicht.
Btw. mich würden mal die Botschaftsberichte aus der deutschen US-Botschaft in Washington aus der Bush-Ära interessieren…
Wenn unsere Politiker die US-Diplomaten-Berichte nun auch nun eine Spur clever wären, würden sie sich hinstellen und sagen: „Hm, schade, das irgendein US-Mitarbeiter mich für so inkompetent hält. Aber nützt nix. Weiter im Text…“ Nein, stattdessen reden sie alle von dem kriminellen Akt, davon, dass das alles so peinlich sei, dass man sich entschuldigen müsse etc.
Apropos krimineller Akt: bei den „Steuerflüchtlings-CDs“ hat sich die Politik auch nicht gescheut, illegal beschaffte Daten zu benutzen. Bei denen hatten die Informationen nämlich einen realen Populismus-Wert.
Internet ein Aufklärungsmedium?
Zum Schluss noch zum Internet: Da wird gesagt, dass diese neue „Enthüllungsqualität“ erst durch das Internet möglich würde. … (?) Wieso denn? Klar, vor einigen Jahren oder Jahrzehnten hätte das Zeugs in Lastwagen voll mit Akten durch die Gegend kutschiert werden müssen. Aber qualitativ hat sich doch überhaupt nichts geändert. Im Gegenteil: im Grunde zeigt doch dieses Beispiel, dass das Internet durch seine überflutende Masse an Oberflächlichkeit genau das Gegenteil leistet: die totale Verwirrung im Sumpf der Deutungshoheit.
Ich bin gespannt, wo sich die Diskussion hin entwickelt. Ich schätze, dass die kommende Woche ein unglaublich aufgeregtes Geflatter sein wird. Wollen wir mal hoffen, dass aus einer harmlosen Sache durch allzu aufgeregte Schreierei nicht am Ende doch noch etwas Bedrohliches wird. Wenn jemand von der Sache profitiert, dann ist es der Spiegel bzw. WikiLeaks, dass sollte man bei allem Glauben an die „unabhängigen Medien“ immer bedenken…
Weiterführende Artikel
- Spiegel Online: „Geheimdepeschen enthüllen Weltsicht der USA“ (schwachsinniger Titel!)
- netzpolitik.org: „Spiegel-Online leakt Wikileaks Depechen-Release (Update)„
- tagesschau.de: „WikiLeaks stellt die US-Diplomatie bloß„
- nerdcore.de: „Wikileaks leaks stupid german Politicians„
- … uswusf …
- Infos über WikiLeaks bei Wikipedia
- die Wikileaks-Homepage wurde heute offenbar gehackt. Ein Schelm, wer dahinter einen „unabhängigen Hacker“ vermutet…
9 Gedanken zu „WikiLeaks veröffentlicht peinliche US-Botschaftsberichte – na und?“
viele gute Gedanken! Ich freu mich auch schon auf die nächsten Wochen, wo ich mir täglich neue Details aus den Veröffentlichungen in den Medien anhören darf. Nicht.
Wenn wir in Deutschland solche Nieten wählen… Ich finde, mit solchen Aussagen sollte man etwas vorsichtig sein. Mag inhaltlich zwar durchaus 100% zutreffen, beleidigt aber 48,4% der Wähler (die es ?trotzdem? so wollten bzw. keine besseren Alternativen sahen), die 27,8% Nichtwähler (die es nicht verhindert haben) und mithin – bei einer wahlberechtigten Basis von 62,2 Mio. – gut 47 Mio. Menschen in Deutschland. Nur am Rande: Wer wurde in den USA 2004 ein zweites Mal (demokratisch, allerdings indirekt) gewählt, trotz des bekanntermaßen zweifelhaften Charakters? Wo ich ganz bei Dir bin: Die „Enthüllung“ ist die mediale Aufregung nicht im Ansatz wert. Aber auch Du machst ja einen schönen Linkbait draus ;-)
@Markus: ob es sie beleidigt, weiß ich nicht. Aber es ist ein Signal an die Nichtwähler: durch Nichtwahl erhöhen sich die Chancen, ungeeignetes Personal zu wählen.
Letztlich ist und bleibt es meine Meinung.
Die Bilder im Artikel sind übrigens mangels Zeit vollkommen an den Haaren herbeigezogen. Ich hatte gerade nichts anders zur Hand.
Ich frage mich nur langsam, was Wikileaks mit solchen Veröffentlichtungen erreichen will? Zwar berichtet jeder darüber aber die Plattform driftet langsam in eine Ecke, wo es gefährlich wird.
Es wird sich nur noch auf riesige Dokumentenberge konzentiert um möglichst viel Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dabei würde ein bisschen weniger Aufmerksamkeit der Plattform bestimmt gut tun. Mitterweile frage ich mich sogar um Wikileaks noch die emalige Aufgaben vor Augen hat oder einfach nur massenhaft Dokumente raushauen will. Ich bin mir auch nicht sicher, ob diese Dokumente in irgendeiner Form jemanden etwas gebracht haben. Wir sind ja auch nicht dumm und wissen genau, welche Pappenheimer wir im Moment haben.
So nun zum eigentlichen Thema:
„Wenn unsere Politiker die US-Diplomaten-Berichte nun auch nun eine Spur clever wären, würden sie sich hinstellen und sagen: “Hm, schade, das irgendein US-Mitarbeiter mich für so inkompetent hält. Aber nützt nix. Weiter im Text…” Nein, stattdessen reden sie alle von dem kriminellen Akt, davon, dass das alles so peinlich sei, dass man sich entschuldigen müsse etc.
Apropos krimineller Akt: bei den “Steuerflüchtlings-CDs” hat sich die Politik auch nicht gescheut, illegal beschaffte Daten zu benutzen. Bei denen hatten die Informationen nämlich einen realen Populismus-Wert.“
Ganz meine Meinung!
Danke für die klaren Worte. Tacheles reden können sonst sehr wenige. Stehe voll hinter deinen Zeilen, dass es solch einen Informationsaustausch gibt ist ja wohl komplett normal. Alles andere würde mich wundern. Sehe es aber schon fragwürdig, dass man ein Intranet für ~250.000 Leute (!!!) verwendet. Klar auch, dass die bei Anne Will dann übers Internet an sich diskutiert haben. Aber wie du schon sagtest, ohne das Netz, würde sich die Info lediglich langsamer verbreiten. Ein Spiegel würde genauso schnell drucken.
Grüße!
@Mirco Frage mich was daran so falsch ist massenhaft Dokumente raus zu hauen. So mehr desto besser würde ich sagen. Und doch ‚wir sind alle dumm‘ und haben überhaupt keine Ahnung welche Pappenheimer wir im Moment haben. Wer sich durch alt hergebrachte Massenmedien informiert hat im besten Fall ein höchst verzerrtes Bild der Realität und überhaupt keine Ahnung von nichts. Du kannst dir alle Tageszeitungen und Magazine im Kiosk bei dir um die Ecke durchlesen und hast immer noch keinen schimmer was heute wirklich passiert ist.
Wikileaks ist für mich nur ein erster zarter Schritt in ein neues Zeitalter, in dem es keine Geheimnisse mehr gibt. Die Informationsflut wird ums hundertfache zunehmen und jeder muss zum Journalisten werden und sich seine eigene Wahrheit dort rausfiltern. Und das ist nicht gefährlich, sondern in meinen Augen die wahre Aufklärung und das Ende der geistigen Sklaverei. Die Zeit in der eine kleine Elite von Journalisten der Masse sagen kann was richtig und falsch ist, was Realität und was Fiktion ist, hat bald ein Ende.
Mit dem Zerfall der Old School Media, startet dann auch das Ende der politischen Macht der Nationalstaaten, denn kein Staat kann seine Bürger mehr ohne Massenmedien kontrollieren. Und genau deshalb finde ich es wichtig diesen Trend zu beobachten und darüber zu reden. Und die Phrase ‚Revolution durch’s Internet‘ halte ich nicht für übertrieben…
Ich find es etwas zu einfach, auf „die inkompetenten“ Politiker zu schimpfen. Bei mir erzeugt der Blogbeitrag die ganze Zeit die Frage, was die konkrete Alternative darstellen soll? Was also ist die Wahlempfehlung, die Du suggerierst? Ich bin mal so frei, ganz offen zu fragen ;)
Im übrigen bin ich natürlich auch sehr unzufrieden mit der derzeitigen Regierungskonstellation. Nicht dass mein Text sich anders liest.
@Thomas: hehe, stimmt. Ob die Grünen es besser machen würden, kann ich natürlich nur hoffen. Abgesehen davon finde ich die Bundeswehr-Reform von zu Guttenberg auch beeindruckend, völlig unabhängig von der Partei. Der hat immerhin was angepackt.
Ich bin ja ein absoluter Verfechter einen drastischen „Zuckersteuer“. Damit könnte man den Gesundheitsbereich retten, indem zum einen imense Geldbeträge in die Kassen gespült werden und zum anderen diejenigen, die ihren Zuckerkonsum reduzieren, dem System nicht mehr auf der Tasche liegen.
Naja, ich bin ja zum Glück Künstler und kann es mir leisten, nur zu meckern ;-)
Die FDP hat einfach zu lange Zeit zugesehen, wie Guido Westerwelle die Partei herunterwirtschaftet. Ein Neuanfang sieht nun mal eigentlich anders aus. So, wie ich das erlebe, hat die FDP wie vorher noch noch niemals in ihrer Historie an Substanz und Glaubwürdigkeit verloren. Diejenigen, die sie 2009 zum 1. Mal gewählt haben, werden das eindeutig nicht mehr machen. Noch fataler ist jedoch, dass ihr jetzt auch die sowieso kleine Stammwählerschaft den Rücken kehrt. Man fragt sich unweigerlich, wer braucht eigentlich die FDP? Ausser Frau Merkel niemand mehr.
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