Angriffe auf Wikipedia – das große Mißverständnis
In einem Bericht des ARD-Magazins „Monitor“ hat „PR-Berater“ Malte offen gelegt, was viele in der Szene längst wissen: Wikipedia wird manipuliert. Was in dem Artikel nicht gesagt wurde, aber noch verschärfend hinzukommt: es geht nicht nur um Inhalte, sondern auch um Links. Zwar sind die inzwischen mit „nofollow“ gekennzeichnet, wodurch sie für eine Verbesserung im Google-Ranking zwar theoretisch unwirksam sind – aber wer sich nur ein wenig mit dem Thema Suchmaschinenoptimierung beschäftigt, weiß, wie hilfreich solche Wiki-Links sind. Aber ob nun Links oder Inhalte: Die Empörung über die Manipulation der Wikipedia ist groß. Zu Unrecht, wie ich im folgenden Artikel darlegen möchte.
Hier zunächst das Video, dass den Monitor-Bericht zeigt:
Fazit des Beitrags: Wikipedia-Artikel werden zu PR-Zwecken manipuliert. Auf die Frage, ob das den mit einer PR-Ethik vereinbar sei, schaut Malte verschmitzt lächelnd nach unten und fragt sich: „Was soll ich denn dazu jetzt sagen?“ Schlimm, oder?
Das Wissen der Menschheit – Wikipedia & Google
Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Bogen zwischen Wikipedia und Google spannen. Wikipedia ist die umfangreichste Wissensdatenbank, die es je gegeben hat. Jede/r, die etwas beisteuern kann, ist dazu eingeladen. Weil dabei aber viel Blödsinn herauskommen kann, wurde ein hierarchisches System eingeführt, in der Einträge und Änderungen kontrolliert werden. Wikipedia speist sich also aus dem, was Menschen einbringen, und schleust es durch ein Nadelör von Administratoren.
Google hat es sich (ursprünglich) zur Aufgabe gemacht, alles Wissen dieser Welt verfügbar zu machen. Im Grunde das gleiche Ziel wie Wikipedia. Anders als Wikipedia speist sich Google aus Websites. Und da Wikipedia auch eine Website ist, sind beide eng miteinander verzahnt. Die Google Suchergebnisse profitieren erheblich davon, dass Wikipedia bei vielen so beliebt ist – und Wikipedia profitiert erheblich davon, dass ihre Seiten bei Google stets vorne gelistet werden.
Inzwischen hat Google bereits damit begonnen, im Rahmen des sog. Knowledge-Graphen Auszüge von Wikipedia direkt in den Suchergebnissen anzuzeigen, ohne dass man dafür noch die Seite wechseln müsste. Es ist klar, dass Google mit seiner Suche enorm viel Geld verdient – und es ist klar, dass die Wikipedianer ehrenamtlich arbeiten. Ich bin mir auch sicher, dass es einen Deal zwischen Google und Wikipedia gibt – aber ob die ehrenamtlichen Redakteure das wohl wissen? Bislang verdient nur Google an dem Deal (vermute ich), indem die Suchmaschine unter anderem auch mit diesem Feature einen Marktposition von weit über 90 Prozent am Suchmaschinenmarkt in Deutschland hat.
Wie wahr ist das alles?
Wikipedia und Google sind so groß und fundamental in unserer täglichen Benutzung verankert, dass viele ihnen eine allgemeingültige Wahrheit zuerkennen. Was bei Wikipedia steht, stimmt! Und wenn etwas bei Google auf Platz 1 steht, ist es das beste Ergebnis! Das ist zu einer Art ethischem Fundament geworden – allerdings völlig zu Unrecht.
Natürlich gibt es Fakten, die unumstößlich sind. Auch die sind bei Wikipedia gelistet. Aber: Wikipedia ist vor allem deshalb so bedeutend, weil fast jeder Artikel eine interpretatorische Ebene hat. Warum ist eine Person bedeutend? Was ist bei einem Konzern zu kritisieren? Warum gibt es überhaupt diesen Wiki-Artikel?
Genau hier wird es kniffelig: letztlich wird die Auswahl, was wichtig, richtig oder falsch und unbedeutend sei, von Menschen gemacht. Meist sind es Wikipedia-Redakteure, manchmal berufen sie sich auf Zeitungsredakteure, Blogger oder Buchautoren. Es ist also immer (!!!) eine individuell getroffene Auswahl und Bewertung. Wer behauptet, dass Wikipedia „manipuliert“ würde, trifft nicht den Kern des Problems: denn jeder Wikipedia-Redaktuer „manipuliert“ seine Artikel. Die Frage ist, welche Motivation steckt dahinter? Selbst wenn eine Firma einem „PR-Berater“ Geld zahlt, um die Wikipedia-Informationen zu „verbessern“, dann geschieht das doch im Rahmen unseres Wirtschaftssystems. Aber ist die Frage, ob jemand für die Mitarbeit bei Wikipedia Geld bekommt, wirklich der Knackpunkt?
Die Illusion des Objektiven und Wahren
Die Grenzen zwischen „PR“ und „Fakten“ sind fließend. Und eine „objektive“ Vermittlung von Wissen gibt es nicht. Auch Wikipedia ist nicht objektiv. Es ist eher das Idealbild eines sich selbst kontrollierenden und regulierenden Wissen-Kollektivs. Nur leider: Wie so viele Ideal ist auch dieses in der Realität nicht umsetzbar.
Statt über „Manipulation der Wikipedia“ zu schimpfen, sollte man sich besser bewusst machen, was es ist. Von Menschen in einem hierarchischen System erstellte Artikel, die deren Interessen, Vorlieben und Glaube an andere Autoritäten dokumentieren.
Und statt über Suchmaschinenoptimierung zu wettern, sollte man sich bewusst machen, dass die Ergebnisse keinen objektiven Kriterien folgen, sondern aufgrund eines von Menschen geschaffenen Algorithmus angeordnet werden.
Ich möchte das dummer Verhalten einiger „PR-Berater“ gar nicht gutheißen, aber die ganze Diskussion führt schnell in eine falsche Fährte. Denn das Problem sind nicht die Dussel, die sich mit den Redakteuren und Administratoren ein Cutts- und Maus-Spiel liefern. Es sind die Benutzer …
Das Internet birgt viele Gefahren – und eine davon ist der Glaube an „objektive oder wahre Informationen“. Die Möglichkeiten des Webs sind ein gigantisches Business, und zu glauben, dass einzelne Bereiche davon ausgeschlossen wären, ist gefährlich. Die Grenzen zwischen gut und böse sind sehr weitläufig. Und unsere moralischen und ethischen Wertmaßstäbe sind nicht internet-tauglich. Wenn man das vergisst und alles glaubt, wird man selber sehr schnell manipulierbar. Der Glaube an eine wahrhaftige Enzyklopädie ist genauso blauäugig und naiv wie der an einen Datenschutz im Internet.
13 Gedanken zu „Angriffe auf Wikipedia – das große Mißverständnis“
Richtigstellung: Ich bin KEIN PR-Berater und habe dies gegenüber Monitor auch nie behauptet.
Danke für den Hinweis. Ich habe es deshalb oben kursiv gesetzt. Interessant wäre aber schon die Frage, was Du eigentlich bist? :-)
Ich weiß nur eins, er soll bei Sistrix oder so arbeiten… O:- )
Ich fürchte, er hat sich soeben als „Reputation Manager“ selbst seine Reputation zerschossen. Interessant, wie es die Journalisten es immer wieder schaffen …
Hallo Martin,
sehr schön geschrieben. Ich denke auch das es einfach der Glaube an wahre Information ist, der die Nutzer nun aufschrecken lässt. Jedoch wird es solange es Menschen gibt, auch immer Fehler in der Informationsübermittlung geben und zum anderen wird es solange es Unternehmen gibt auch immer das Bestreben geben dieses in einem besonders guten Licht zu präsentieren.
Also ist es folglich ein „Nobrainer“ das es in einem Wiki nicht nur Wahrheiten zu finden gibt.
Ich verstehe Deinen Ansatz nicht, Martin. Du sagst „Die Empörung über die Manipulation der Wikipedia ist groß. Zu Unrecht“. Ich kenne die Problematik auch seit >10 Jahren. Aber das bedeutet doch nicht, dass eigennützige und teils schädliche Methoden deswegen an Legitimität gewinnen, nur weil sie scheinbar gang und gebe ist.
Weil das System Wikipedia nicht perfekt ist (und sicher auch weit davon entfernt ist), ist Spamming, Betrug und Linkbuilding in Wikipedia legitim, oder zumindest nicht kritikwürdig? Nein.
Wenn ich wie im Beitrag beschrieben eine „Armee“ von Wiki-Fake-Accounts aufbaue, um Scheinargumentationen zu führen, dann hat das rein gar nichts mehr mit subjektiver Meinung zu tun, das ist an dieser Stelle ganz klar black. Kann man machen, klar. Aber sollte man es machen? Nein.
Wenn Du sasgt „das Problem sind die Nutzer“, dann klingt das eher nach einem Verschieben der Verantwortung auf andere (die diese Verantwortung nicht wahrnehmen wollen oder können). Wir, die Online-Marketing Branche, können aber Verantwortung wahrnehmen. Und ja, es gibt durchaus ethisch-moralische Grenzen, die ich bei Wikipedia-Manipulationen ganz klar überschritten sehe.
Objektives Wissen mag es vielleicht nicht geben, korrekt. Aber sollten wir deshalb alles gutheißen, um uns und andere Nutzer von wirtschaftlich getriebene Partikularinteressen leiten zu lassen? Nein.
Von der moralischen Diskussion mal abgesehen: Wir schreiben das Jahr 2014. Mit grauen Methoden von vor 10 Jahren fahren meiner Ansicht weder die „Berater“ und Agenturen, noch ihre Kunden mittelfristig gut.
Wir haben es in der Hand. Wir können weiter auf billige aber scheinbar effektive Methoden setzen, und uns dabei hinter Proxys, Sockenpuppen und Fake-Akkounts verstecken. Oder wir konzentrieren uns wieder etwas stärker auf Mehrwert, echte Inhalte, Kommunikation und auch auf ein Minimalset an Werten, das wir uns bewahren sollten.
Stimmt, vielleicht ensteht durch den Artikel der Eindruck, ich würde solche Spam-Praktiken gutheißen. Das ist mitnichten der Fall, und ich kritisiere dieses Vorgehen. Aber: ich finde, die Kritik darf nicht dazu führen, Wikipedia oder Google zu überhöhen. Auch viele Menschen, die für ihre Änderungen bei Wikipedia kein Geld bekommen, manipulieren letztlich – aus Überzeugung, die aber eine ganz falsche sein kann für jemanden anderes. Ich habe neulich z.B. einen Shop eines Freundes (aus der Offline-Welt) positiv bewertet, ohne dass ich über die Produkte etwas sagen könnte. Lediglich weil ich ihn kenne und Vertrauen habe. Aber letztlich ist das auch eine „Manipulation“ – ohne das dafür Geld geflossen sei.
Eines stimmt sicherlich: wir haben es in der Hand – aber eben nur jeder für sich. Je aufgeklärter wir den Realitäten und Mechanismen ins Auge sehen, um so besser können wir den Wert ermessen. Das Proklamieren von ethisch-moralischen Grenzen finde ich immer gut, aber man sollte sie stets an der Realität messen. Es gibt viele Leute, die sich nicht daran stören, was andere verwerflich finden. Ich glaube, das trifft letztlcih für jeden zu: die einen finden es verwerflich, vor der Ehe Sex zu haben, andere nicht. Einige finden es in Ordnung, mal hier oder da schwarz zu arbeiten, auch wenn es sogar gesetzlich verboten ist. Und so weiter … Die ethisch-moralischen Grenzen sind sehr fließend.
Letztlich müssen diejenigen, die eine System benutzen, die Rahmenbedingungen kennen und nach eigenen Maßstäben bewerten. Insofern haben die NSA-Affäre und die Wikipedia-Story auch etwas Gutes: man muss sich mit den Realitäten auseinandersetzen und hinterfragen, inwiefern es überhaupt einen Schutz geben kann – oder man eben seine Nutzungsgewohnheiten anpassen muss.
Danke für den Hinweis, Maik.
Hier wird wieder viel Wirbel um Sachen gemacht, die es eigentlich schon immer gab. Bei offline Unternehmen gab es früher auch Manipulatoren, wie auch heute bei online Medien und jetzt ist es bei wikipedia bekannt geworden. Was solls. Gabs immer und wirds auch immer geben. Natürlich gibt es auch Menschen die diese Arbeit durchführen oder die Durchführung beaufsichtigen. Vermutlich kann sich Malte vor Aufträgen nicht mehr retten, also super TV PR für ihn. Glückwunsch.
jo die Wahrheit ist relativ – schon Konfuzius hat die Suche nach der absoluten Wahrheit verworfen – warum sollte sie dann Wikipedia kennen?
Wikipedia ist keine wissenschaftlich integere Datenbank.
Emotional-ideologische Färbung von Fakten, schlechter, aufgeblähter bis unstrukturierter semantischer Stil, keine Plausibiltät(bisweilen Selbstreferenzierung!)für die Seriösität der Sekundärquellen wie die der Autoren. Die Verquickung mit Google ist unerträglich.
W. ist weder populärwissenschaftlich integer, noch akademisch ernstzunehmen.
Also ein typisches Produkt der pseudofortschritlich durchkommerzialisierten, kommunikativ-oberflächlichen, stetig allgemeinbildungsärmeren Gesellschaft.
Ich würde, ökonomisch wie gesellschaftspolitisch, das Ende dieses
globalistischen Nivellierungs- und Kontrollkonstruktes eher begrüßen.
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